Dienstag, 2. Mai 2017
Überreizt
Viele Menschen um mich herum bedeuten auch viele Farben um mich herum. Wenn es angenehme Farben sind, also die Menschen sich gut fühlen oder zumindest nicht schlecht, dann geht es. Aber wenn schlechte Stimmung in der Luft liegt, und das bei einer großen Menge an Leuten, dann kann es passieren, dass ich es nach einer Weile nicht mehr aushalte. Dann ist es, als hätte ich mich körperlich und geistig ziemlich angestrengt - ich fühle mich schwach und habe Kopfschmerzen, oft wird mir auch schlecht, und ich muss aus der Situation heraus.
Letzte Woche Donnerstag war wieder so ein Tag. Wir hatten nur sieben statt normalen acht Stunden, und die siebte Stunde war spontan eine Klassenleiterstunde geworden - hieß, wir diskutierten über Organisatorisches. Und die Diskussionen heizten sich auf. Eigentlich ging es um Nichtigkeiten, doch wie es oft so ist, hatte jeder eine andere Meinung und es wurde gemeckert, ohne eine Einigung zu finden. An diesem Tag war ich ohnehin schon angeschlagen, und so erschöpften mich die Farben der Klasse ziemlich. Ich war mehr als froh, als die Stunde vorbei war. Mein Freund, der mich nach der Schule abholen wollte, wusste nicht, dass ich eher Schluss hatte. Ich hätte es ihm schreiben können. Doch ich wollte es nicht. Ich kannte mich und wusste, dass ich diese übrige Dreiviertelstunde für mich selbst brauchen würde. Also entschied ich mich, im Klassenraum zu warten.

Als alle gegangen waren, machte ich Instrumentalmusik auf dem Handy an und malte weiter an dem Bild, an dem ich schon die ganze Stunde über gemalt hatte. Die Sonne schien auf mein Blatt. Und augenblicklich legte sich ein Gefühl der Erleichterung und Freiheit über mich, auch wenn es in mir noch immer brodelte und schrie wegen der Masse an unangenehmen Farben von eben gerade. Ich sah mich im Raum um und genoss es, wie leer er war, mit den ganzen hochgestellten Stühlen. Ein Gefühl, das ich nicht beschreiben konnte, aber ich hätte noch ewig hier sitzen können und die stille Leere des Raums genießen. Es versetzte mich in Träumereien und Gedankenflüge, während ich dieses dumpfe unangenehme Gefühl im Bauch nicht los wurde. Dann dachte ich an meinen Freund, der ald unten warten würde, denn das eigentliche Unterrichtsende war fast da. Ich dachte daran, was ich jetzt alles vorhaben würde, und ich wollte nicht. Ich wollte nichts und niemanden. Ich wollte nirgends anders sein als hier, nicht mal zuhause, mit keinem und mit nichts als dem Blatt und den Stiften, und einfach immer weiter malen, bis ich aus eigenem Wunsch aufstehen und gehen würde, ohne dass mich etwas dazu zwang.

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