Sonntag, 7. Januar 2018
Auf der Suche nach einer positiven Farbe
Oft genug habe ich erwähnt, dass mich das Smaragdgrün einer Freundin aus den tiefsten Gedankenlöchern ziehen kann. Inzwischen gibt es noch eine Person und eine Farbe mehr, die das kann. Und daneben gibt es noch einige andere, ebenfalls sehr positive Farben, die das auch ein bisschen schaffen. Nicht so stark wie diese beiden - aber es reicht, um mich besser zu fühlen, nicht mehr zu sehr zu grübeln, das Leben wieder leichter zu nehmen, wenn ich es kurz vorher nicht mehr leicht nehmen konnte. Somit gelingt es mir an fast allen schlechten Tagen, mich an irgendwas, an irgendwem, wieder hochzuziehen.
Doch "fast" und "immer" sind eben nicht dasselbe Wort. Was, wenn es Tage wie heute gibt, an denen all diese positiven, mitreißenden, helfenden Farben in weiter Ferne sind? Manchmal schaffe ich es, durch Aufschreiben oder Ablenken mit irgendwelchen mit belanglosen Dingen, davon wieder wegzukommen. Aber nicht immer. Nicht an solchen Tagen wie heute. Nicht mit solchen Gefühlen, wie ich sie heute schon seit dem Aufstehen habe.
Der Vormittag war etwas, das ich so stark selten habe. Aufräumen war angesagt. Sortieren. Weihnachtsdeko wegräumen. Schon beim Aufstehen war ich in einer unschönen Stimmung. Ich fühlte mich leer, antriebslos, bedrückt, ohne zu wissen, warum überhaupt. Um gar nicht erst in diese Gefühle zu versinken, legte ich so schnell wie möglich los. Ich suchte mir ein Lied, auf das ich gerade Lust hatte, stellte es auf Dauerschleife ein und drehte es laut. Es begleitete mich den gesamten Vormittag, immer wieder von vorne. Und ich tat, was ich tun wollte - doch bei der Sache war ich kein einziges Mal.
Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich innehielt. Ich stellte mich ans angekippte Fenster oder setzte mich auf den Couchtisch. Starrte nach draußen. Dachte an schöne Momente und Worte, die mit meinen engsten Freunden zusammenhingen. An jemanden, der mir seit dem Sommer im Leben fehlt. An unglaublich viele besondere Stunden, Zaubermomente, die in den letzten Wochen passierten. Immer wieder kamen mir die Tränen. Immer wieder raffte ich mich wieder auf und räumte weiter. Im Kopf schmerzhafte Gedanken, Zweifel, Wünsche, Ängste. All diese Gedanken waren nicht neu, waren mir nicht unbekannt, und jeder einzelne von ihnen auch nicht besonders schlimm. Doch alle gleichzeitig, auf einem Haufen, wirkten erdrückend und beklemmend, liegen auf mir wie Blei; und es fühlt sich an, als wolle ich aufspringen und rennen und schreien, aber nichts davon geht.
Jetzt, am Abend, ist es fast noch schlimmer als am Vormittag. Gedanken ziehen durch meinen Kopf, die ich nicht zu fassen kriege. Gefühle sind in mir, die ich nicht benennen kann. Ich bin in einer Stimmung, die gefährlich für mich selber ist - in der Hinsicht, dass ich spüre, dass ich alleine aus diesem Strudel nicht herauskomme, dass ich den Anstoß von jemand anderem brauche, um wieder klar denken zu können und nicht in ein Loch zu versinken. Da reicht ein kleiner Moment, eine winzige Sache, die demjenigen nicht einmal auffällt, weil es überhaupt nicht wichtig ist, was für ein Anstupser das ist. Wichtig ist nur, von wem er kommt. Und noch wichtiger, dass er kommt.
Es heißt immer, wenn man glaubt, dass eine Grenze ist, dass man am Ende ist, dass man sich verfahren hat; dann öffnet sich irgendwo eine Tür, jemand nimmt dich bei der Hand und ohne dass es eine große Sache wäre, holt er dich aus der Sackgasse. Ich habe tatsächlich oft genug erlebt, dass es so ist. Doch wenn man daran glaubt, dann wartet man darauf. Und wenn man darauf wartet, und es nicht passiert, dann wird es noch schwieriger, sich allein wieder aufzuraffen. Und genau diese Gedanken, an das, was kommen könnte, sind es, die verhindern, dass ich mich besser fühle.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 24. Oktober 2017
Alles neu - alles alt
Ein Neuanfang bedeutet nicht immer, dass alles neu ist. Es kann auch ein Neuanfang sein, einfach etwas hinter sich zu lassen, das man eine Weile gehabt hat - und in etwas zurückzukehren, was man eine lange Zeit nicht mehr hatte.
Hätte mir früher jemand gesagt, dass ich einmal in den Ort zurückkehren würde, in dem ich fast mein ganzes Leben verbracht habe, hätte ich ihm wohl eine runtergehauen. Als ich vor fünf Jahren in eine andere Stadt ging, um dort meine Ausbildung zu machen, jubelte alles in mir. Ich wollte hier fort. "Das alte Leben" nannte ich abfällig all das, was bis dahin mein Leben ausgemacht hatte. Ich wollte mit nichts davon mehr zu tun haben, alles hinter mir lassen, und woanders neu anfangen. So habe ich dann fünf Jahre lang gelebt - mit Höhen und Tiefen, neuen Freunden und tollen Momenten, falschen Freunden und bitteren Enttäuschungen. Je länger ich dort war, desto mehr kam die Einsicht, dass ein Leben immer genau so verlaufen würde, wohin es mich auch verschlug.

Als dann alles auf einmal geschah, war es, als gäbe es auf einmal nur diesen einen Weg für mich. Anders als in den Wochen vorher wusste ich plötzlich genau, was ich tun musste und was ich tun wollte. Es war so klar, und es lief so schnell wie von selbst, dass ich nur drei Wochen später plötzlich mit vollgepackten Taschen vor meinem Elternhaus stand. Ich sah es an, und es fühlte sich komisch an zu wissen, dass das kein normaler Besuch, sondern eine Rückkehr für immer war.
Ich war wieder da. Die fünf Jahre, die ich woanders gelebt und all das hier fast schon abgelehnt hatte, erschienen mir von einem Tag auf den anderen nur noch wie ein kurzer Ausflug in ein anderes Leben. Als ich ein paar Tage nach meiner Ankunft einen Spaziergang machte, lief ich die alten Wege ab. Wege, die ich, als ich hier lebte, mit besonderen Erinnerungen verband. Ich hörte Musik, so wie immer auf Spaziergängen, weil ich sonst meine eigenen Gedanken und Gefühle oft kaum aushielt.
In mir stiegen Bilder auf, gute und schlechte, aber alle intensiv. Erinnerungen an Erlebnisse mit alten Freunden. Empfindungen Leuten gegenüber, deren Leben sich schon vor längerer Zeit von meinem entfernt hatten. Alles, was ich sah, war mir fremd und vertraut zugleich. Es hatte sich fast nichts verändert - und wenn doch, waren es Kleinigkeiten, das Grundlegende war geblieben. Häuser, Bäume, Wege, Erinnerungen, Gefühle ... alles schien vor fünf Jahren einfach stehengeblieben zu sein und nur auf mich gewartet zu haben. Nur darauf, dass ich jetzt, hier und heute, zurückkehrte. Als hätte die ganze Welt es gewusst - nur ich nicht.
Doch all das Alte, Vertraute, war trotzdem neu. Denn ich sah es nun mit einem Gefühl an, dass ich dabei noch nie gehabt hatte: mit dem Gefühl, noch einmal neu anzukommen. Das versetzte mich in eine sonderbare, glückselig-verwirrte Stimmung, die mich mehr tanzen als gehen ließ - tanzen durch ein Meer von Bildern, Gefühlen und Farben, die meine Umgebung malten. Genauso wie damals, und doch irgendwie ganz neu.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 14. August 2017
"Eine Erzieherin muss voller Elan sein, die Kinder mitreißen! ... Es ist eben jeder anders. Ich erwarte eigentlich nur, dass du Ideen hast."
Ja wie jetzt? Ein solches Gespräch hatte ich heute mit meiner Chefin. Naja, es wurde natürlich noch sehr viel mehr geredet. Aber diese eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf. Morgen wird sie mich hospitieren, und weil mich in den letzten Tagen mehr und mehr das Gefühl beschlich (besser gesagt, ich es spürte, aber das kann ich ihr ja nicht sagen), dass ich ihr nicht so ganz gefalle, habe ich ihr heute gesagt, dass ich Angst habe.
Angst. Die begleitet mich seit zwei Wochen wieder. Dazwischen war es fast gut. Ich hörte Sätze wie: "Du hast dich richtig ins Positive verändert." oder "Die Portfolio-Seiten hast du super gestaltet." Und heute? Plötzlich ist da ein anderer Unterton. Plötzlich werde ich mit unserer Kollegin verglichen - die XY ist bombe, so wie sie werde ich nie sein. Muss ich das? Warum soll ich so sein wie sie? Jeder Mensch ist anders. Das ist das, was sie immer sagt, was wir den Kindern vermitteln.
Plötzlich will sie nochmal gucken, ob ich die Kinder voranbringen kann. Sie sei sich nicht sicher, ob das, was ich tue, zu dem passt, was sie erreichen will. Was für eine Aussage! Aber sie erwarte nichts von mir, außer, dass ich Ideen habe.
Von meiner Kreativität habe sie noch nichts gesehen. Ich frage mich, wen sie vor zwei Wochen für die Portfolio-Seiten gelobt hat. Wem sie in der ersten Woche sagte, die spontan ausgedachte Rückengeschichte habe ihr gefallen. Und wem sie letzte Woche sagte, sie erwartet nicht, dass ich mit den Kindern bastle, Freispiel sei wichtiger.
Ich muss mehr Beziehungsarbeit leisten, die Kinder für mich begeistern. Heute früh kam eins unserer Krippenkinder freiwillig von Mamas Armen in meine gelaufen. Ein anderes Krippenkind ruft durch die ganze Einrichtung meinen Namen, weil sie mir was zeigen will.
Mein letztes Angebot entsprach nicht dem situationsorientieren und kindbezogenen Handeln, aber alle waren voll bei der Sache und sprechen immernoch von dem gemeinsamen Ergebnis. Dabei hätte ich sie doch nicht aus ihrem Spiel rausreißen sollen.
Und, die Krönung: ich sei unsensibel. Unsensibel! Viele Kritikpunkte aus dem Gespräch - offener werden, mich ws trauen, mich einbringen, Ideen haben - kann ich gut und dankbar annehmen. Schließlich kann ich mich nur verbessern, wenn mit mir geredet wird. Ich sehe sogar ein, dass mir auf die Finger geguckt wird. Ich sehe nur zwei Dinge nicht ein, und die sorgen für diese Angstgefühle, die ich habe.

1. Ich soll mich nicht verstellen, soll Ideen einbringen, mich was trauen - aber ich werde auch nicht gefragt, angesprochen, einbezogen. Jeder ist anders, aber sie überlegt, ob ich zu dem passe, was sie will?

2. Ich soll unsensibel sein. Vermutlich (nur vermutlich!) denkt sie auch, ich gehe nicht auf die Kinder ein oder habe kein Gespür für sie.

Über das "unsensibel" komme ich einfach nicht hinweg. Ich gehe auf die Kinder ein, wenn sie traurig, wütend, enttäuscht sind. Ich habe ein Kind heute früh fröhlich gemacht, als es geweint hat. Zu mir kam das Krippenkind heute früh. Ich bekomme erzählt: "Weißt du, Frau ..., ich musste gestern weinen, weil ich Heimweh hatte." Ich komme super mit den beiden Eltern klar, vor denen ich gewarnt wurde: "Bei denen musst du vorsichtig sein, die sind speziell." Und wer ist die, die nach einer Das-geht-nicht-Erklärung ein enttäuschtes Kind in den Arm nimmt und sagt: "Aber ich verstehe dich."?

Wenn ich hier so schreibe, denke ich an die Praktika in der Vergangenheit zurück, die schiefgelaufen sind. Irgendwie ist das nicht selten bei mir. Wo ich auch bin höre ich, ich sei unsensibel, nehme zu wenig wahr, handle nicht nach der Situation. Ich werde mich niemals hinstellen und sagen, ich mache es richtig und die anderen sind komisch. Im Gegenteil. Wie oft habe ich mich gefragt, was ich anders machen muss? Wie oft habe ich gezweifelt, wie oft war ich verzweifelt. Auch jetzt, in der letzten Zeit, denke ich wieder: Kann ich es wirklich nicht? Bin ich tatsächlich so ein Problem? Passt die Welt nicht zu mir, oder ich nicht zu ihr?
Und doch, eine winzige Sache ist da, die ausreicht, dass ich nicht aufhöre. Die dafür sorgt, dass ich mir am Ende doch sage, so schlecht kann ich nicht sein. Es ist etwas, das bisher in jeder Einrichtung so war:
Die Kinder, die alle anstrengend finden, die "mit
Vorsicht zu genießen" sind, die "Schwierigen" -
das sind die, die mir Bilder malen. Das sind die,
die sagen: Ich hab dich lieb. Das sind die, die
bei mir, nur bei mir, ganz anders sind. Das sind
die, die mich jedes Mal am Ende angesehen
haben und sagten: "Ich will nicht, dass du
gehst."
Wenn ich daran denke, denke ich jedes Mal: eigentlich sollte ich über solche Aussagen gar nicht nachdenken. Innerlich weiß ich ja, dass ich keine Katastrophe bin. Aber da ist die Probezeit. Die Angst, rauszufliegen. Die Angst, Worte zu hören, deren Stich nicht wieder aufhören wird zu brennen. Also sagt man, dass man an sich arbeitet. Und arbeitet an sich. Man denkt sich: nur noch 2 Wochen, dann ist dasunddas. Danach nur 3 Wochen, dann ...
Aber abends, wenn ich alleine in meiner Wohnung sitze, könnte ich weinen, dass ich so denke. Man sollte morgens aufstehen, normal gelaunt zur Arbeit gehen, heimkommen und leben. Doch so einfach ist es nicht. Kommende Nacht werde ich wieder mehrfach aufwachen und jedes Mal denken: Bitte, lass es noch ewig sein, bis der Wecker klingelt. Beim Zähneputzen werde ich Tränen unterdrücken. Auf Arbeit werde ich alles geben. Am Nachmittag werde ich dasitzen und mich fragen: >Bin ich bescheuert? Warum habe ich mich so fertig gemacht?< Und werde mich furchtbar albern finden. Und dann ist wieder Abend. Wie lange geht dieser Kreis? Wie lange dauert es, bis man ihn durchbricht?

... link (3 Kommentare)   ... comment