Donnerstag, 28. Januar 2016
Ein Leben mit Synästhesie
Synästhesie, die etwas andere Wahrnehmung der Welt. Kaum einer, der nicht selbst Synästhesie erlebt, kann nachvollziehen, dass das etwas ist, das man nicht "einfach abstellen" kann. Und dass es auch nichts ist, das man immer in Worte fassen kann. Es gibt eben einfach Wahrnehmungen, die haben keinen Namen. Die kann man nicht so erklären, dass ein anderer sie sich vorstellen kann, der nicht selbst Dinge wahrnimmt, die andere nicht bemerken. Denn Synästhesie ist so vieles. Es gibt so viele Formen davon, wie es Menschen mit Synästhesie gibt. Und all diese Wahrnehmungen sind ein Teil des Lebens - für jemanden wie uns, der damit geboren wurde.

Ich lebe nun 19 Jahre mit Synästhesie. Ein Leben, das immer irgendwie anders verläuft als das von allen anderen. Die gleichen Lebensaufgaben, die gleichen Pflichten, die gleichen Strukturen. Auf den ersten Blick ist alles ganz normal. Man geht in den Kindergarten, dann zur Schule, dann in die Ausbildung. Nachmittags trifft man sich mit Freunden, man sitzt mit der Familie zusammen und entwickelt Hobbys und Interessen. Man hat Höhen und Tiefen, Glcüksmomente und schwarze Löcher, so wie jedes Leben eben ist. Und doch, im Hintergrund, wo es Außenstehende nicht sehen können - wie auch - da ist so einiges ganz anders. Das sind meistens Dinge, die man anderen nicht mitteilen kann, da man keine Worte dafür hat; da man spürt, dass es Dinge sind, die einem nicht geglaubt werden. Und man schweigt, man trägt seine Wahrnehmungen alleine aus, aus Angst, nicht ernst genommen oder als "komisch" bezeichnet zu werden.

Es hat viele, sehr viele Jahre gedauert, bis ich gelernt habe, den richtigen Menschen von meiner Synästhesie zu erzählen. Bis ich gelernt habe, zu sehen, wer die richtigen Menschen sind. Ich musste, manchmal auch auf schmerzhafte Weise, lernen, dass man manchen Menschen gegenüber lieber nicht seine Sicht der Welt erklärt. Unverständnis ist Gift für die Seele. Und außerdem - jeder Mensch braucht doch Geheimnisse, oder nicht?

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