Montag, 24. April 2017
Jetzt tu nicht so, ich hab´s doch längst gesehen...
Noch befinde ich mich auf den letzten Metern meiner Erzieherausbildung, und ich kann das Licht am Ende des Tunnels schon sehen - endlich arbeiten, bald ist es soweit! Doch noch sitze ich Tag für Tag in einem Raum mit meiner Klasse. Meine Klasse - ein bunt gemischter Haufen Leute mit ständigem Stimmungs-Auf-und-Ab. Und damit meine ich nicht nur die Farben, sondern vor allem die Tatsache, dass sich das Klassenklima oft ändert. Tatsächlich gibt es nur eine Handvoll Leute, die darin authentisch sind - und das sollen alles Erzieher werden ... naja, es ist nicht mein Part, sowas zu beurteilen. Was ich allerdings sehr wohl beurteilen kann, ist, dass sehr viele sich selbst und anderen viel vorspielen.
Eine Mitschülerin hebe ich hierbei besonders hervor. Sie ist älter als ich, aber nicht viel, sie ist um die 30 und bereits Mutter. In meinem zweiten Ausbildungsjahr wechselte sie von einer anderen Schule zu uns, und nach einem halben Jahr waren sie und ich plötzlich Banknachbarn. Sie zählt zu den Aufmerksamen, das heißt, sie hatte bereits von meiner Synästhesie mitbekommen, obwohl nur ein ganz kleiner Teil der Klasse davon wusste. Und sie war fasziniert. Andauernd löcherte sie mich mit Fragen. Welche Farben standen für welches Gefühl? Wie viele Farben hat ein Mensch meistens so? Und so weiter.
Das hielt ungefähr zwei Wochen an. Ich sah, dass ihr Interesse ehrlich war, und gab ihr meistens Antwort. In der dritten Woche änderte sich ihre Farbwelt dann immer öfter: zwischendurch konnte ich bei ihr Farben entdecken, die in die ablehnend-distanzierte Richtung gingen. Sie tauchten wie kurze Schnappschüsse im Wechsel mit ihren üblichen Farben auf.

Nun bin ich kein Mensch, den es unglaulich stört, wenn jemand ihn nicht sympatisch findet (nicht mehr, aber das ist ein anderes Thema). Doch es irritierte mich, denn die Art und Weise war ungewöhnlich, dieser unregelmäßig aprupte Wechsel verwirrte mich. Um es besser einordnen zu können, malte und schrieb ich es auf. Noch eine Woche verging, dann schrieb sie mich eines abends an, sie wolle, dass ich den Sitzplatz wechsle, da es mit uns nicht passe.
Das Ganze ist über ein Jahr her. Wir haben nicht viel miteinander zu tun, und wenn doch, sprechen wir normal miteinander. Manchmal kommen mir gegenüber komische Spitzen, die andere nicht zu hören scheinen. Doch auch wenn sie nicht kommen, sehe ich, dass ihr freundlicher Umgang mit mir nichts als Schein ist, denn dieser Farbwechsel geschieht noch immer. Nämlich, sobald sie mit mir spricht. Ich weiß, dass sie nichts gegen mich hat. Ich weiß, dass ihr bewusst ist, dass ich diese Veränderung sehe. Es ist eine Art Mischung aus Unsympathie, Falschheit, Verstellung und seltsamer Lebenseinstellung, die diese Frau in sich trägt - und ich muss zugeben, besonders gern halte ich mich in ihrer Gegenwart auch nicht auf.

So wie bei ihr, passiert es mir oft. Menschen sprechen mit mir oder mit mir oder anderen über jemanden, oder sie gehen miteinander irgendwie um; und ich sitze da und denke: Du meinst etwas anderes. Du tust nur so. Dir geht das-und-das durch den Kopf. Und immer, wenn ich in einer Situation bin, frage ich mich, warum sie nicht einfach zugeben, was sie doch eigentlich am liebsten sagen wollen.

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So einfach ist es eben nicht immer. Tust du es denn?

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Ob ich es immer sage, so dass es ankommt, weiß ich nicht. Aber ich verstelle mich nicht. Wenn ich mit jemandem absolut nicht überein stimme, käme ich nicht auf die Idee, ihm zuzustimmen. Wenn ich mich in der Nähe von jemandem unwohl fühle, gehe ich mit ihm nicht um wie mit denen, deren Nähe ich genieße.

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