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Sonntag, 7. Februar 2016
"Frau Wagner, können Sie mir sagen, warum die 9 weint?"
nacy_marynow, 18:25h
Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Es war ein Montag und wir hatten Mathe bei Frau Wagner. Es war das dritte Schuljahr, da gab es keine Klasse 3a und Klasse 3b, sondern nur eine Klasse 3, denn wir waren nur wenig Schüler. Und da gab es dieses blaue Mathebuch mit den ganzen Zahlen drin. Ich sah nicht sehr oft hinein, denn ich mochte die Zahlen nicht, die gefühlsmäßig knallbunt aber schwarz dort abgedruckt waren; die gehässig grinsende 4, die 1, die arrogant die Nase in die Höhe streckt oder die 0, ein Angsthase, die einfach vor allem und jedem erschrickt. Ich mag Zahlen bis heute nicht, besonders die 4 ist mein Feind, egal wo sie auftaucht.
Auch im Unterricht sah ich kaum in das Buch - ich schlug es auf, wenn wir das sollten, legte es dann offen zur Seite und kritzelte irgendwas in eines meiner Hefte, da ich ohnehin wusste, was Frau Wagner wollte und wie das ging. (Ja, damals habe ich Mathe noch begriffen xD)
Doch an diesem Tag wollte ich nicht kritzeln, und so begann ich, im Mathebuch zu blättern. Plötzlich stockte ich. Mein Blick fiel auf eine übergroße 9 auf einer der rechten Seiten, und ich stellte fest, dass eine gedruckte 9 ganz anders aussah als die, die ich schrieb. Ich schrieb eine geschwungene 9, die in mir nichts auslöste außer den Gedanken, dass ich eben eine 9 vor mir hatte. Ganz anders diese Zahl in dem Buch. Gerade und glatt stand sie da, schwarz gedruckt und in einem olivgrünen Schwarz und zog die Mundwinkel nach unten, die sie gar nicht hat, da sie ja eine Zahl ist.
***Hierzu schnell eine kurze Erklärung. In den Mathebüchern, die ich als Kind hatte, wurde die 9 noch anders gedruckt, als sie hier zu sehen ist. So, wie der Computer sie jetzt schreibt, steht sie heute auch in Mathebüchern. Früher sahen die 9 in Mathebüchern von der Form her so aus:
Das ist die Art 9, von der ich hier gerade schreibe. Die etwas seltsam klingende Bezeichnung "olivgrünes Schwarz" ist eine synästhetische Farbwahrnehmung. Ich erkläre sie später mal genauer.***
Ich starrte betrübt die 9 in dem Buch an und fragte mich, was sie so bedrückte. Es traf mich irgendwie, als wäre die Zahl ein Mensch, der traurig war, und weil mich das wirklich beschäftigte, meldete ich mich.
"Warum weint die 9?", fragte ich, als ich drangenommen wurde. Ich hörte, dass jemand kicherte, verstand aber überhaupt nicht, warum eigentlich. Was war denn daran lustig, wenn jemand weint?
"Wer weint?", wiederholte Frau Wagner verständnislos.
"Die 9", antwortete ich.
"Die 9 ist eine Zahl."
"Natürlich, was denn sonst?"
"Eine Zahl kann nicht fühlen.", behauptete Frau Wagner. Das verwirrte mich, und ich fragte:
"Aber kann man denn weinen, wenn man nicht fühlt?"
Einige begannen zu lachen, und ich verstand den Grund immer noch nicht.
"Mach dich nicht lächerlich!" Frau Wagner war auf einmal sehr ärgerlich. "Zahlen fühlen nicht, und Zahlen können auch nicht weinen!"
"Aber die 9 in meinem Buch weint.", versuchte ich es noch einmal. Da verlor Frau Wagner die Beherrschung.
"Willst du mich etwas veralbern?! Stell dich doch nicht so blöd an!"
Mit diesen Worten schickte sie mich vor die Tür, und unter dem Gelächter der Klasse ging ich hinaus auf den Flur - nicht mit gesenktem Kopf, sondern gerade und aufrecht; mit dem unbeirrbaren Gedanken, dass ich nicht blöd bin, sondern alle anderen, immerhin war die 9 wirklich traurig, und nur mir war es aufgefallen.
Auch im Unterricht sah ich kaum in das Buch - ich schlug es auf, wenn wir das sollten, legte es dann offen zur Seite und kritzelte irgendwas in eines meiner Hefte, da ich ohnehin wusste, was Frau Wagner wollte und wie das ging. (Ja, damals habe ich Mathe noch begriffen xD)
Doch an diesem Tag wollte ich nicht kritzeln, und so begann ich, im Mathebuch zu blättern. Plötzlich stockte ich. Mein Blick fiel auf eine übergroße 9 auf einer der rechten Seiten, und ich stellte fest, dass eine gedruckte 9 ganz anders aussah als die, die ich schrieb. Ich schrieb eine geschwungene 9, die in mir nichts auslöste außer den Gedanken, dass ich eben eine 9 vor mir hatte. Ganz anders diese Zahl in dem Buch. Gerade und glatt stand sie da, schwarz gedruckt und in einem olivgrünen Schwarz und zog die Mundwinkel nach unten, die sie gar nicht hat, da sie ja eine Zahl ist.
***Hierzu schnell eine kurze Erklärung. In den Mathebüchern, die ich als Kind hatte, wurde die 9 noch anders gedruckt, als sie hier zu sehen ist. So, wie der Computer sie jetzt schreibt, steht sie heute auch in Mathebüchern. Früher sahen die 9 in Mathebüchern von der Form her so aus:
Das ist die Art 9, von der ich hier gerade schreibe. Die etwas seltsam klingende Bezeichnung "olivgrünes Schwarz" ist eine synästhetische Farbwahrnehmung. Ich erkläre sie später mal genauer.***
Ich starrte betrübt die 9 in dem Buch an und fragte mich, was sie so bedrückte. Es traf mich irgendwie, als wäre die Zahl ein Mensch, der traurig war, und weil mich das wirklich beschäftigte, meldete ich mich.
"Warum weint die 9?", fragte ich, als ich drangenommen wurde. Ich hörte, dass jemand kicherte, verstand aber überhaupt nicht, warum eigentlich. Was war denn daran lustig, wenn jemand weint?
"Wer weint?", wiederholte Frau Wagner verständnislos.
"Die 9", antwortete ich.
"Die 9 ist eine Zahl."
"Natürlich, was denn sonst?"
"Eine Zahl kann nicht fühlen.", behauptete Frau Wagner. Das verwirrte mich, und ich fragte:
"Aber kann man denn weinen, wenn man nicht fühlt?"
Einige begannen zu lachen, und ich verstand den Grund immer noch nicht.
"Mach dich nicht lächerlich!" Frau Wagner war auf einmal sehr ärgerlich. "Zahlen fühlen nicht, und Zahlen können auch nicht weinen!"
"Aber die 9 in meinem Buch weint.", versuchte ich es noch einmal. Da verlor Frau Wagner die Beherrschung.
"Willst du mich etwas veralbern?! Stell dich doch nicht so blöd an!"
Mit diesen Worten schickte sie mich vor die Tür, und unter dem Gelächter der Klasse ging ich hinaus auf den Flur - nicht mit gesenktem Kopf, sondern gerade und aufrecht; mit dem unbeirrbaren Gedanken, dass ich nicht blöd bin, sondern alle anderen, immerhin war die 9 wirklich traurig, und nur mir war es aufgefallen.
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